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Die Entstehung der 90°-Scheibe

Die Geschichte der 90°-Scheibe ist eines der interessantesten Kapitel für die sonderbaren Wege, die Erfindungen und Entdeckungen oftmals nehmen. Die erste 90°-Scheibe wurde von Ludwig Rudolph gezeichnet und für die astrologische Untersuchungsarbeit eingesetzt. Das geschah im Jahre 1931. 

Anlass zu dieser Entwicklung war ein Gespräch zwischen Alfred Witte und Ludwig Rudolph. Es wurde über Plus- und Minusplaneten (Radixstände und Antiszien), sowie über Deckungen im Horoskop (gleiche Differenzen) und über die 90°-Lineardarstellungen (Streifenhoroskop, Linearephemeriden) des Horoskops gesprochen.  

Während des Gespräches meinte Witte dann, dass möglicherweise eine Untersuchung des Horoskops in 90° besondere Möglichkeiten für die Auswertung bieten könnte. Rudolph fragte nach, ob Witte damit die Untersuchung mit einer 90°-Scheibe meine. Witte bestätigte dies und fügte hinzu, dass zusätzlich drei gegeneinander drehbare Horoskopringe eingesetzt werden können, d.h. zwei Ringe für Plus- und einer für Minusplaneten.

Das war der Geburtsmoment für die 90°- Scheibe.


Noch am gleichen Abend machte sich Ludwig Rudolph an die erste Zeichnung einer 90°-Scheibe und begann die Untersuchung. Es ist unbeschreiblich, welche Gefühle der Begeisterung mit diesen Untersuchungen bei Rudolph ausgelöst wurden. Es war sofort klar: der Schritt von der 360°-Scheibe zu Teilungen, die die Kardinalachsen zur Deckung brachten, vereinfachte wesentlich die Feststellung von Planetenbildern. Das vierfach vergrößerte Gradmaß ließ die exakten von den weniger exakten Bilder besser unterscheiden. Exakte Differenzen ließen sich einfacher feststellen, ebenso Übergänge und Direktionen. Für viele Untersuchungen fiel das lästige Nachrechnen fort. Kurz, es war ein geniales, modernes Untersuchungsgerät für die Technik der Hamburger Schule von zukunftsweisender Bedeutung.

Ludwig Rudolph führte Alfred Witte anschließend das neue 90°-Arbeitsgerät vor. Friedrich Sieggrün, der bei diesem Treffen ebenfalls anwesend war, nahm diese neue Entwicklung interessiert auf und begann mit eigenen Untersuchungen.  

Ludwig Rudolph untersuchte Serienereignisse, bei denen wenige Minuten Unterschied gleiche Ereignisse auslösten. Dabei ergab sich, dass eine noch größere Genauigkeit in der mechanischen Ermittlung der wirkenden Auslösungskomplexe wünschenswert war. Hatte man sich einmal durch die 90°-Teilung von der üblichen 360°-Teilung gelöst, war der Schritt zu einer noch größeren Auflösung (Zeitmaß) leicht getan. So entstand im gleichen Untersuchungsgang die 45°-Scheibe. 

Angeregt durch die großen Aussichten, die diese Feinteilungen für die astrologische Arbeit boten, reifte der Plan, den Astrologen mit der Veröffentlichung dieser Erkenntnisse gleich eine feingeteilte grafische Jahres-Ephemeride (in Kreisform) vorzulegen. Die Entscheidung, ob das in 90° oder in 45° erfolgen solle, schuf Zwiespalt. Eine einzelne Teilung war für eine Veröffentlichung aus technischen und psychologischen Gründen erwünscht. Wegen der größeren Exaktheit fiel die Wahl auf die 45°-Scheibe, obgleich 90° für den Neuling einfacher zu handhaben war.

Im Sommer 1931 brachte Ludwig Rudolph im Witte-Verlag, Hamburg, die neue 45-Gradscheibe mit einer grafischen Ephemeride für 1932 heraus. Als Friedrich Sieggrün dies überreicht wurde, war er überrascht, denn er selbst war noch mit der 90°-Scheibe beschäftigt. Später ging dann auch Friedrich Sieggrün zu Untersuchungen mit den Scheiben 45°, 22°30, 11°15 und 5°37’30 über. Am längsten hat sich Sieggrün mit der 11°15-Darstellung beschäftigt. Jedoch nicht nur Sieggrün, sondern viele andere Astrologen entdeckten neuen Forschergeist und beschäftigten sich anschließend mit neuen Darstellungen in kleineren Teilungen, wie z.B. Ernst Esch, der 360° und 3°45' zu einem Arbeitsgerät kombinierte.

Schon früh stellte Ludwig Rudolph heraus: Eine alleinige Betrachtung des Horoskops mit der 45° oder 90°-Darstellung lässt zwar viele Entwicklungen klar erscheinen, aber ohne Beachtung des Gesamtbildes und der Häuser, welches nur die 360°- Darstellung vermittelt, bleibt die Untersuchung nur halb. 

Die wichtigste Grundlage bleibt die 360°-Darstellung, denn der Gesamteindruck eines Achsenkomplexes, wie ihn 360° am vollkommensten vermittelt, wird in anderen Gradteilungen verwischt. Dies ist vergleichbar mit der Betrachtung eines Gemäldes. In allernächster Nähe sieht man detailliert die einzelnen Farbenkleckse und die Pinselführung. Doch nicht erkennbar ist, wie sich diese Details in das Gesamtbild integrieren. Erst aus angemessener Entfernung fügen sich diese Details zu einem Gesamtbild zusammen. Daraus folgt: Je feiner man teilt, desto größer die Verzerrung des Gesamtbildes. Daher darf das Gesamtbild von 360° nicht vernachlässigt werden.