Astrologisch berechnete hypothetische Planeten – ein Jahrhundert Jubiläum.
Ein Rückblick von Michael Feist
Als Alfred Witte seine Erkenntnisse und seine Idee der modernen Astrologie in den einschlägigen astrologischen Fachzeitschriften vorstellte, war die Resonanz geteilt.
Die Leser mussten über astrologisch-astronomische Grundkenntnisse verfügen, um Wittes Schlussfolgerungen zu verstehen. Außerdem war es hilfreich, wenn die Leser ein Verständnis für Mathematik hatten. Diese Voraussetzungen waren nicht bei allen Lesern gegeben. Darüber hinaus war der Schreibstil technisch kurz gehalten. Auch die Neubewertung der astrologischen Erkenntnisse erschwerte die Akzeptanz des Geschriebenen.
Das Ergebnis war, dass die Leser dem Inhalt der Schrift kaum folgen konnten. Nur astrologisch forschende Leser wurden auf die Artikel aufmerksam. Alfred Witte und namhafte Zeitgenossen beschäftigten sich zu dieser Zeit mit alten astrologischen Schriften. Wer das Tetrabiblos des Claudius Ptolemäus (um 150) kennt, wird deutliche Parallelen zur Methode von Alfred Witte erkennen können. Während andere Astrologen nur Teile des alten Wissens für ihre eigenen Forschungen nutzten, seien es gleiche Häuser oder sensitive Punkte (arabische Punkte), fasste Alfred Witte das alte Wissen zu einem schlüssigen Gedankengebäude zusammen.
Das Ergebnis einer mathematischen Gleichung ist symmetrisch - und so ist die Symmetrie die gemeinsame Grundlage der verschiedenen astrologischen Techniken. Das Problem war, dass Alfred Witte diese Gedanken nicht als astrologisches System formulierte. Das lag zweifellos daran, dass Witte in der traditionellen Astrologie verwurzelt war und dieses astrologische Wissen nur verbessern wollte. Eine neue Astrologie wollte Witte eigentlich nicht propagieren.
Einen besseren Zugang zu den neuen Gedankengängen fanden Menschen, die Alfred Witte im Kepler-Zirkel Sieggrüns persönlich kennen lernten. Dort hielt Alfred Witte ab 1919 regelmäßig Vorträge, die mit großem Interesse verfolgt wurden. Wittes Vorträge waren lehrreich und deutlich verständlicher als seine Aufsätze.
So war Alfred Witte in der öffentlichen Wahrnehmung nur ein astrologischer Autor mit einer speziellen Sichtweise. Dann kam ein Ereignis, das alles veränderte, denn im Juli 1923 - vor hundert Jahren - veröffentlichte Alfred Witte einen Artikel, der auch im Ausland große Beachtung fand:
"Der erste Transneptunplanet Cupido?", Alfred Witte, Juli 1923, Astrologische Rundschau (PDF)
Hatte man die Artikel von Alfred Witte bisher nur als spezielle technische Informationen einer neuen Sichtweise wahrgenommen, so änderte dieser Artikel vieles. Zweifellos waren die Astronomen jahrzehntelang auf der Suche nach dem noch unbekannten Planeten "Pluto", wie LeVerrier (†1877) ihn nannte, erfolglos geblieben. Der Astronom Urbain LeVerrier hatte zuvor mit mathematisch-astronomischen Berechnungen die Umlaufbahn des unbekannten Planeten Neptun bestimmt, was zu dessen Entdeckung führte. Daraufhin vermutete er einen anderen Planeten und die astronomische Welt begann eine jahrzehntelange Suche. Dann aber kam 1923 der Astrologe Witte, der die Bahn eines neuen Planeten mit mathematisch-astrologischen Methoden veröffentlichte. Die Welt wurde auf den Kopf gestellt. Hatte ein Astrologe die Lösung gefunden?
Die Entdeckung eines noch unbekannten Planeten wurde nicht nur von Astronomen, sondern auch von Astrologen erwartet. Witte fragte sich daher, ob man mit astrologischen Methoden einen Planeten entdecken könnte, denn wenn die astrologische Theorie richtig ist, dann müssten Astrologen in der Lage sein, die Position eines noch unbekannten Planeten in einem Horoskop zu bestimmen.
Von nun an war das Interesse an Alfred Witte und insbesondere an seinem neuen Planeten enorm. Neben Cupido verkündete Witte die Existenz weiterer transneptunischer Planeten. Leider führte dieses Interesse auch dazu, dass Transneptuner mit der Methode von Alfred Witte gleichgesetzt wurden. Tatsächlich ist die Methode unabhängig von den Transneptunern. Ein Zitat soll dies verdeutlichen:
[Die Transneptuner] "... sind Teil des Forschungsprogramms der von Witte begründeten sogenannten Hamburger Schule der Astrologie, die das Horoskop hauptsächlich nach Strukturen deutet.
Unter Strukturen versteht man viele gleiche Halbsummen, Summen, Differenzen oder sensitive Punkte. Diese Strukturen setzen sich aus vielen einzelnen Planetenbildern zusammen. Diese und ihre zeitlichen Auslöser geben die wirksamen Erfahrungen. - Das muss hier gesagt werden, weil es oft die irrige Meinung gibt, die Hamburger Schule sei die Arbeit mit Transneptunern; diese [Meinung] ist grundlegend falsch und ein fataler Irrtum." Ludwig Rudolph, Transneptun-Ephemeriden, S. 2, Witte-Verlag, 1972.
Es ist in den vergangenen Jahrzehnten oft gezeigt worden, dass die Methoden der Hamburger Schule auch ohne hypothetische Planeten hervorragend funktionieren. Ich möchte aber zugeben, dass ich die vier Transneptuner von Alfred Witte nicht missen möchte. Mit ihnen wird die Arbeit wesentlich erleichtert.
Cupido, von Alfred Witte vor einem Jahrhundert veröffentlicht, ist wohl einer der am besten untersuchten hypothetischen Planeten. Wenn Sie Cupido noch nicht kennen, können Sie ihn gerne einmal ausprobieren. In diesem Jahr 2023 befindet sich Cupido zwischen 5° - 6°21' Steinbock. Cupido steht für die Familie, die Ehe, die Gesellschaft, die Geselligkeit, die Gemeinschaftsunternehmungen, die Unternehmen und die Künste.
PDF: "Der erste Transneptunplanet Cupido?", Alfred Witte, Juli 1923, Astrologische Rundschau
English (Uranian Society) PDF : 1923 - The First Transneptunian Planet Cupido - A One Hundred Years Anniversary